Lässt sich Kunst, die zu den Augen spricht, alternativ vermitteln, damit auch Menschen, die nicht sehen können, einen Zugang finden? Erklärungen und anschauliche Beschreibungen leisten einiges, um Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Wenn darüber hinaus Strukturen und Darstellungen greifbar gemacht werden, wirken die Schilderungen nachhaltiger, werden verankert, geerdet. Davon sind wir überzeugt.
Was wir dazu in unserem Workshop mit der Kunsthalle Kiel deutlich machen wollten: die „Handarbeit“ an Tastobjekten ist kaum ein „Selbstläufer“. Während die Visuelle Erschließung vom umgreifenden Zugriff aufs Ganze in die Details fortschreitet, muss die taktile Wahrnehmung zunächst die Details erkunden, um daraus das Gesamtbild zu formen. Dabei ist der motorische Zugriff auf die Formen und Texturen gröber als die Detaildurchdringung per Auge, (sofern sie denn stattfindet). Ohne Orientierungshilfe ist das mühevoll selbst dann, wenn die Tastvorlagen schon generalisiert, also auf Wesentliches reduziert werden. Daher ist es wichtig, dass die Kunstvermitelnden die Tastarbeit der Teilnehmenden konkret begleiten können.
Hier kommen konventionelle online-Führungen an ihre Grenzen. Das mussten wir auch beim Kieler Workshop erkennen. Die blinden Teilnehmer hatten vor sich Tastkopien der besprochenen Gemälde, und der Kunstvermittler Philipp Schramm, der online zugeschaltet war, führte die Handerkundung ohne selbst sehen zu können, was die Geführten tatsächlich tun.
Die Idee
Auf die passende Lösung kam unser Mitglied, der blinde Mathematikstudent Niels Luithardt. Da heutzutage das Smartphone zur Grundausstattung der meisten blinden und sehbehinderten Menschen gehört, können die persönlichen Geräte als zusätzlcihe Kameras eingesetzt werden. Wird ein Stativ benutzt, lässt sich die Kamera sehr gut oberhalb der Fläche positionieren, auf der die taktile Erkundung stattfindet.
Die für die Werkerschließung hergestellten Tastkopien werden den blinden Teilnehmerinnen und Teilnehmern zugeschickt.. Diese melden sich zur Führung über das Konferenzsystem (z. B. Zoom) zum einen über ein Gerät für die Face-to-Face-Kommunikation an und zum anderen mit dem Smartphone, dessen Kamera auf die tastenden Hände schaut.
Die Umsetzung
M. A. Philipp Schramm hat während der gesamten Zeit der Reise- und Kontaktbeschränkungen Kunstführungen angeboten, bei denen seine Erläuterungen und Beschreibungen im Gespräch mit den Zuhörenden ihre volle Wirkung entfalten. Mit drei von seinen Stammbesuchern wurde die Kamera gestützte Ergänzung durch taktile Arbeit am Anschauungsobjekt ausprobiert. Das Ergebnis begeisterte alle Beteiligten.
Als sich nun die Möglichkeit ergab, diese Arbeitsweise im Rahmen der Jahrestagung der Fachkreise des Deutschen Museumsbundes vorstellen zu können, hat sich Philipp Schramm für das Iwalewahaus Bayreuth erfolgreich für eine Präsentation beworben. Diese erfolgte dann am 5. Mai 2021. Das Präsentationsvideo wurde mittlerweile veröffentlicht auf den Internetseiten der Bayrische Forschungs- und Informationsstelle – Inklusive Hochschulen und Kultureinrichtungen BayFinK, Universität Bayreuth Hier kann es angeschaut werden.
Und hier ist eine Workshop-Dokumentation unserer Tastarbeit.