28.04.2013: Andersichtige Domverhörung zu Worms

Domkantor Dan Zerfaß führt den Andersichtigen stolz die Orgel vor

Es war einer der interessantesten Aufträge für Andersicht; auch wenn er praktisch folgenlos geblieben ist.

Kurz zur Vorgeschichte

Am 08.10.2012 erreichte uns eine Mail aus Worms. Darin hieß es:

„bei der Durchführung des Festivals „wunderhoeren – Tage alter Musik und Literatur in Worms“ im vergangenen Jahr haben wir feststellen müssen, dass die Akustik im Wormser Dom eine sehr komplexe Angelegenheit ist.  Für das 2. Festival, das vom 1. März bis 15. Juni 2013 stattfindet, ist daher ein Programmpunkt geplant, bei dem das Hören im Dom im Mittelpunkt stehen soll. Das heißt, der Dom (als Gebäude) soll von blinden und sehgeschädigten Menschen, aber auch von Menschen ohne Sehbehinderung mit stillen sowie im bespielten Zustand gehört werden, und zwar möglicherweise von verschiedenen Orten aus, sowohl auf Seiten des Publikums als auch auf Seiten der Seiten der Sprecher und Musiker.“

E-Mail aus dem


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Büro des Oberbürgermeisters

der Stadt Worms

Es hatte Konzertveranstaltungen gegeben, die als misslungen eingeschätzt wurden. Die Ursache wurde wohl zu Recht darin esehen, dass dabei die akustischen Besonderheiten des Wormser Doms nicht beachtet worden waren.

Wir stellten also eine Expertengruppe zusammen, zu der auch kompetente Fachleute gehörten, die nicht Mitglied von Andersicht sind: der blinde Tonmeister und Musiker Reinhard Walter aus Berlin war dabei sowie der Experte für akustische Raumwahrnehmung Dr. Siegfried Saerberg, Vorsitzender von Blinde und Kunst e. V. in Köln. Unser Gastgeber war der Kulturkoordinator der Stadt Worms Volker Gallé. Mit ihm erarbeiteten wir ein Programm, bei dessen Umsetzung wir intensive Begegnungen hatten mit Domkantor Dan Zerfaß, Dompropst Engelbert Prieß sowie dem Bauakustiker Prof. Karl Günter Schwartz.

Der Workshop fand statt in Worms
von Mo. 15. April 2013 17:00 Uhr
bis Do. 19. April 2013 11:00 Uhr.

Die Veranstaltung war Seitens der Stadt Worms hervorragend vorbereitet; weil die Ergebnisse unseres Studienaufenthalts im Kulturbetrieb der Auftraggeber dennoch wohl nicht oder kaum zum Tragen kamen, veröffentlichen wir sie in gekürzter Form an dieser Stelle und geben sie für jegliche Nutzung frei.

Grundfeststellungen

Wir durften ein monumentales Bauwerk kennenlernen, dessen Klangarchitektur herausfordernd interessant ist. Seine Hauptachsen bilden ein anspruchsvolles Ganzes. Seine Teile sind vielfältig in den möglichen Klangwirkungen.

Wir hatten uns mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass die Nutzung des Doms im Mittelalter völlig anders aussah als heute. Dabei gab es kaum den Anspruch, den Dom als akustisches Ganzes zu sehen.

Vorhandene Gebäude-Elemente, die unsere Aufmerksamkeit fanden und uns faszinierten, sind u. a.

  • das nördliche Seitenschiff,
  • die Nikolauskapelle,
  • Hochchor mit anschließender Vierung,
  • die große Orgel, die nach Aussage von Domkantor Zerfaß zwar nicht die größte aller Domorgeln ist, diesen Dom aber füllt, wie kaum eine andere Domorgel den ihrigen,
  • die Kanzel und
  • die Glocken in ihrem, den Raum zum Klingen bringenden Mittagsgeläut.

Der Dom ist ein Klangwunder. Als Stätte katholischen Lebens ist er primär als Raum für Gottesdienste vorgesehen, also nur eingeschränkt für übliche Konzertveranstaltungen nutzbar. Elektronische und bauakustische Regulierungen des Klangs scheinen nur begrenzt in Betracht zu kommen, aber für gottesdienstliche Veranstaltungen ist eine Mikrofon-Lautsprecher-Anlage in Betrieb.

Mittelalterliche Kirchenmusik ist unter Beachtung der Gegebenheiten problemlos aufführbar. Für speziellere musikalisch-literarische Veranstaltungen mit Solisten oder kleineren Ensembles werden von den Domverhörern folgende Räume vorgeschlagen: nördliches Seitenschiff, Ost- und Westchor, Nikolauskapelle, Marienkapelle.

Der Wormser Dom bietet sich an für neue Klangwelterfahrung. Dabei lassen sich der zentrale Raum (Langhaus) oder/und Nebenräume für elektroakustische Installationen nutzen wie auch für Schlagwerkensemble mit vorgegebenen Notierungen. Klangwelten des 21. Jahrhunderts lassen sich gleichfalls auch im Dom erlebbar machen

Stationen und Feststellungen

Stationen der Domverhörung und Feststellungen für Nutzungsmöglichkeiten

Es gibt kein Triforium oder sonst eine Möglichkeit für Publikum, sich über die Grundebene zu erheben. Weil es dem Dom auch an Kellergeschoss und nutzbarem Dachboden fehlt, müssen einige Kapellen als Lagerräume genutzt werden. Eine Nutzung der Krypta kommt nicht in Betrach5t.

Beim Abschluss der  Begehung am 2. Tag haben wir akustisch eindrucksvoll die praktisch ungenutzte Kanzel erlebt. Sie zu betreten, ist derzeit schwierig

Die Nikolaus-Kapelle ist der Ort der alltäglichen Gottesdienste und bietet Möglichkeiten der Nutzung für solche musikalische Aufführungen, die im offenen Raum wegen der langen Laufzeiten der Töne (Hall) nicht gut möglich sind.

Der Westchorwird schon genutzt als Beginn der liturgischen Prozession an Weihnachten und Ostern.

Das Nördliche Seitenschiff wird derzeit nicht genutzt für Hörpublikum, was aber wegen guter akustischer Eignung erwägenswert ist obschon es sehr schmal ist.

Prof. Schwartz hat uns darin bestärkt, den Hörraum erfahrbar zu machen durch Klangsignale, die dafür gezielt eingesetzt werden. Dass wir Kastagnetten und Blockflöte dabei hatten, fand er gut. Durch den Einsatz von Schallquellen ist es möglich, einen differenzierten Raumeindruck zuzüglich Teilräumen zu gewinnen: Mittelschiff, Seitenschiffe, Vierung, Kapellen. Auch eine konzentrierte passive Verhörung des Raumes mit Hilfe der in ihm selbst entstehenden und von außen in ihn dringenden Geräusche ist eine ergänzende Möglichkeit.

Kern unserer Anregung

Wir begreifen den Dom als ein ganzes Ensemble von Aufführungsorten. Anknüpfen kann ein entsprechendes Veranstaltungskonzept an die Erfahrungen der jährlichen Kulturnacht, wo es musikalische Performances gab, bei denen die akustischen Möglichkeiten des Doms an wechselnden Plätzen durch kleine Ensembles zur Wirkung gebracht wurden.

An Aschermittwoch abends wird das Miserere von Allegri unter Nutzung des ganzen Raumes aufgeführt.

Bei den Domkonzerten im Hochchor muss ein Teil der Besucher unten im Mittelschiff sitzen, konnten aber lt. Dompropst Prieß auch dort sehr gut hören.

Weitere konkrete Anregungen

Worte von der Kanzel. Zugänglich gemacht wurde uns die Kanzel. Von ihr aus ist eine klare, gut verständliche Ansprache möglich.

Erlebnis Mittagsgeläut im Dom-Inneren. Es war eine zufällige Erfahrung Die Hörposition befand sich nahe des Eingangs, von dem man sich aber weg ins Innere begeben muss, um den ganzen Raum zu erleben, wie er erregt wird von der Domglocke, der von St. Magnus und der Dreifaltigkeitskirche, die nacheinander einsetzen. Wir konstatieren ein zu wenig an Bewusstsein für einen Klangraum der Glocken dieser Stadt.

Klangexperimente. Wir machten den überzeugenden Versuch, die Kreuzstruktur des Hauptbaus zu markieren mit unseren bescheidenen Bordmitteln: Blockflöte, Kastagnetten und Drummsticks.

Ein eindrucksvolles Erlebnismoment verschaffte uns das Durchschreiten der West-Ost-Achse mit der Blockflöte. Leise Töne und Instrumente können den Raum mit Klang füllen. Sogar ein mangelhaft gespieltes Instrument macht großen Eindruck.

Andersichtige Ideen, Anregungen, die unerhört blieben

  1. Hören lässt sich populär machen als Weg der Meditation, der Einkehr, zur Öffnung der Besucher für die Anliegen des Festivals „Wunderhören“. Folgende Anregungen möchten wir konkret geben.
  • Hörerweckung. Ohren öffnen für Wunderhören. Der Beginn des Festivals als Einladung, sich auf ein ganzes Programm von Angeboten der mittelalterlichen Musik und Literatur einzulassen. Am Eröffnungswochenende könnte in diesem Sinne erlebbar werden, wie die Neuzeit unsere Hörsensibilität verschüttet, überlagert, zugelärmt hat. Eine rituelle Befreiung kann angeboten werden mit folgenden Elementen:
    a) Stadterhörung Mit Glockenkonzert und Sängerfest. Ein abgestimmtes, evtl. komponiertes und arrangiertes Läuten aller Glocken der Stadt kann mit speziellen Stadtführungen eine neue Wahrnehmungsperspektive schaffen. Die Chöre von Worms werden per Ausschreibung eingeladen, an geeigneten Orten der Stadt Aufführungen zu gestalten mit Madrigalen und was immer sie für den öffentlichen Raum passend finden. Chöre können ihren Auftrittsort wechseln und ein gemeinsames Finale gestalten.
    b) Lauschrausch: Große Räume, leise Töne. Kompositionen, Arrangements und Improvisationen für das Raumensemble Dom sollten als Auftragswerke für kleine Ensemble realisiert werden. Reinhard Walter hat hierzu angeregt, dass ein Spielen mehrerer Ensemblemitglieder miteinander über große Raumdistanzen durch ein elektronisches Monitoring mit Kopfhörern für die Musiker optimiert werden kann.
  • 2. Mittagsklang – Klanginstallation, die den Dom in seiner Ausdehnung und seinen architektonischen Gestaltungen erlebbar macht. Sie soll täglich eine Stunde lang eingeschaltet sein während des Festivals und sequenziell den Raum von verschiedenen Punkten her zum Klingen bringen. Besucher erhalten einen Lageplan der interessantesten Hörpunkte, an denen sie sinnliche Erfahrungen machen können, die den meisten Besuchern unbekannt sein dürften.
  • 3. Hörprozession. Live-Darbietungen kleiner Ensembles bzw. Solisten, was Literatur einschließt, in den Teil- und Nebenräumen: Nikolauskapelle usw.
  • 4. Raumdramatische Aufführung: „der böhmische Ackermann und der Tod“ in für den Dom adaptierter, evtl. gekürzter und überarbeiteter Fassung in musikalischer Rahmung. Das Stück nach Johannes von Saaz wurde zunächst als Hörspiel eingerichtet von Gunnar Müller-Waldeck.
  • 5. Soundscape-Dokumentation des Doms von Siegfried Saerberg.
  • Eine solche Vorstellung des lebendigen Klangraums Wormser Dom in seinen alltäglichen Nutzungen durch Gläubige und die Heimsuchung durch Touristen aber auch in seinen vielfältig aufspürbaren Offenbarungen als Klangwunder kann auf vielfältigen Wegen verbreitet und zugänglich gemacht werden: via Internet, Apps und als Tonträger.

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